Im Rahmen dieser Serie unterhalte ich mich mit Protagonisten der Freien Szene darüber, was sie bewegt und antreibt. Heute ist es Charles Petersohn. Der Musikproduzent, Musiker, DJ, Veranstalter und Netzwerker begann 1985 autodidaktisch mit der Musik. Ein zweites Standbein: Die interkulturelle Kulturarbeit beim Caritas-Verband Wuppertal-Solingen – eine Herzensangelegenheit, dass Migration nicht nur durch Beratung, sondern auch durch Theater, Konzerte, Workshops und damit durch Begegnungen gelingt. Neben den Menschen in seinem Umfeld inspirieren ihn vor allem Peter Kowald und Pina Bausch; beide schufen mit ihrer Kunst eine universelle Sprache, die weltweit verstanden wird. Im Gespräch mit der WZ spricht er darüber, wie Musik die Welt abbildet und er diese Überzeugung der Verständigung nach außen trägt.
Erschienen am 04.09.2025 in der Westdeutschen Zeitung.

Warum machst Du, was Du machen?
Ich wollte mit Musik herausfinden, was mich ausmacht, und das der Welt mitteilen – anfangs in Berlin und seit vielen Jahren hier in Wuppertal. Ich habe erkannt, dass ich früher vor allem mit Texten – heute mit Klängen – etwas zum Ausdrucken bringen kann, das mich persönlich bewegt. In den Klängen anderer Kulturen fühlte ich mich schon immer sehr wohl. Ich mische und verbinde Sounds, um zu zeigen: Auch wenn die Einflüsse aus Afrika, Brasilien oder Asien stammen – im Endeffekt ist es eine Musik. Und diese eine Musik bildet diese eine Welt und uns alle Menschen ab.
In deiner Kunst steckt Haltung. Wie bewusst ist Dir der politische Aspekt?
Haltung ist für mich ein vertretbarer Begriff – „politisch“ ist mir viel zu verallgemeinernd. Ich möchte Menschen erreichen und ihnen mitteilen, was ich erfahre, erlebe und erkenne. Natürlich hat das auch mit Politik zu tun, aber meine Musik ist im Kern nicht politisch. Mein Ziel, meine Freude am Musikmachen, liegt darin, zu überlegen, was ich tun möchte, und beim Musizieren, tief in mich hineinzublicken. Dort erkenne ich all das – und versuche, es in meine eigenen Töne und Worte zu fassen, um damit die Menschen zu erreichen.
Wie erreicht Kunst Menschen die sich selbst nicht als Publikum dafür sehen?
Wir sind fast in jedem Moment unseres Lebens von Kunst umgeben. Musik ist dabei das tragendste Medium – zumindest in meiner Wahrnehmung. Wir alle hören ständig Musik. Wir alle tragen unbewusst ein Bild von Klängen in uns. Und was ich erreiche – dadurch, dass ich mit meiner Musik in die Öffentlichkeit gehe –, ist vielleicht, dass ich ein Beispiel geben kann. Ein Beispiel für andere, die sich nicht trauen oder nie auf die Idee kämen, selbst künstlerisch tätig zu werden. Dass sie in mir sehen: Man kann es einfach tun. Erstens darf es einem niemand verbieten – und zweitens steckt in uns allen etwas sehr Wertvolles. Etwas Eigenes, vom Alltag Losgelöstes in sich selbst zu erkennen, hilft enorm, an die eigene Kraft zu glauben und das Leben leichter zu gestalten.
Hast Du eine Geschichte für mich?
2017 durfte ich für das Internationale Begegnungszentrum ein interreligiöses Konzert veranstalten und ein Ensemble aus zwölf Musikern zusammenstellen – Pop-, Jazz-, Folklore- und Orchestermusiker, dazu jemanden wie mich, der einfach Freude daran hat, sich überall einzumischen. Es ging darum, Lieder aus verschiedenen Glaubensgemeinschaften zu präsentieren. Meine Kollegen baten mich, das Ave Maria von Schubert zu spielen. Das habe ich zunächst abgelehnt, weil Ave Maria das weltweit bekannteste sakrale Lied überhaupt ist. Meine Idee war, dass alle Glaubensgemeinschaften auf Augenhöhe vertreten sein sollten. Wenn wir als christliche Organisation – die Caritas ist das ja nun einmal – das Ave Maria spielten, hätten automatisch alle anderen Glaubensgemeinschaften im Hintergrund gestanden. Zwei Jahre später durfte ich das Projekt auf einer kleinen Tour durch drei Städte wiederholen. Erneut kam dieser Wunsch – diesmal noch hartnäckiger. Ich überlegte: „Okay, ich kann wieder Nein sagen, oder ich finde einen Weg, es so zu verbinden, dass die Augenhöhe erhalten bleibt.“ Da stieß ich auf einen Gospel-Song von Odetta. Ihr Lied „Sometimes I Feel Like A Motherless Child“ ist tieftraurig, herzzerreißend, aber auch sehr kraftvoll. Zusammen mit den Musikern des Ensembles brachten wir die beiden Stücke zusammen. Dafür mussten wir am Ave Maria einiges verändern und auch den Gesang von Odettas Gospel-Song anpassen. Heraus kam eine unglaublich schöne, kraftvolle Version, die zeigte: Dinge, die auf den ersten Blick unmöglich erscheinen, können – wenn man sie verbindet – etwas ganz Neues und Wertvolles entstehen lassen.

Was ist, wenn die Politik Fördermittel kürzt? Fühlst Du dich dann im Stich gelassen?
Ich fühle mich nicht im Stich gelassen. Ich habe das Glück, dass ich neben meiner kulturellen Arbeit einen Job habe, der meinen Lebensunterhalt sichert – und in dem ich das einbringen darf, was mich ohnehin antreibt. Ich weiß jedoch, dass es vielen Künstlern anders geht. Sich im Stich gelassen zu fühlen, würde für mich bedeuten, meine kreative Arbeit komplett von Förderungen abhängig zu machen. Ich habe stets Freiräume gefunden, die mir ermöglichen, unabhängig zu sein – und das ist absolut notwendig, um über den Tellerrand hinaus das Wesen der Dinge zu erfassen. Wir alle sind Teil eines Kreislaufs von Geben und Nehmen. Dieses System muss erhalten bleiben – sodass auch Menschen, die nicht in der Lage sind, selbst einen Beitrag zu leisten, trotzdem leben können. Bisher war das möglich. Allerdings haben sich die politischen Interessen in den letzten Jahren so stark verschoben – nicht nur in kulturellen, sondern auch in sozialen Fragen. Für mich ist das ein absolutes Unding. Kultur und soziale Marktwirtschaft sind kein Luxus – sie sind ein essenzieller Teil des demokratischen Systems, in dem wir leben.
Eine Stadt braucht Meinungsfreiheit, Offenheit, Kreativität…
Unsere Stadt ist ein gutes Beispiel: Kultur ist die Basis, damit alle sich beteiligen können und die Stadt lebenswert ist. Dazu gehören Künstler ebenso wie andere kreative Bürger – sie machen Zukunftspotenziale sichtbar. Beispiele dafür sind die Nordbahntrasse, Utopiastadt, das AZ, das Freibad Mirke, Talflimmern, OAA (Out and About), das LOCH. Überall da hat bürgerschaftliches Engagement die Stadt vorangebracht. Das ist der Kern: Bürgerinnen und Bürger müssen stärker einbezogen werden, anstatt dass die Politik ausschließlich verwaltet. Nehmt den anderen ernst – jeden Einzelnen. Noch wichtiger: Nimm dich selbst ernst, als Individuum und als Teil einer Gemeinschaft. Die Kunst leistet genau das: Sie gibt Beispiele dafür geben, welche Möglichkeiten in uns allen stecken. Jammern mag für einen Moment helfen, aber auf lange Sicht müssen wir erkennen: Wir sind keine Opfer der Verteilung der Mittel. Vielmehr sollten wir uns bewusst machen, wie wichtig und wertvoll jeder Tag ist, an dem wir aktiv sind – für uns selbst, für die Gemeinschaft, für die Stadt. Wir sind wichtige Partner des gesellschaftlichen Diskurses.
Am Ende liest jemand mit Macht dieses Interview. Was würdst Du ihm gerne noch sagen?
Hört endlich auf zu glauben, dass allein ihr darüber entschieden könnt, was richtig für uns alle ist. Geht vor allem dorthin, wo das Leben stattfindet – auf die Straßen. Viele Künstler arbeiten am Limit, verdienen kaum etwas, machen trotzdem weiter. Das zeigt: Es gibt viele Lebensentwürfe. Statt diese nur zu verwalten, sollten wir die Zukunft gemeinsam mit allen Beteiligten gestalten. Und ein Gedanke, der mir zuletzt kam: Tuffi ist aktuell ein viel besseres Wappentier, als der Bergische Löwe. Das mag lustig klingen, aber Tuffi hat den Sprung ins kalte Wasser gewagt und sich befreit. Genau das brauchen wir: Mut und viele Sprünge ins kalte Wasser, um die Stadt weiterhin lebenswert zu gestalten – mit all ihren Wünschen, Sorgen, Notwendigkeiten und Ansprüchen. Künstler sind seit jeher in der Lage, aus wenig viel zu machen. Improvisation ist ein Werkzeug, um in vielen Lebenslagen etwas auf die Beine zu stellen. Wir Künstler, sind Meister in dieser Disziplin!