Im Rahmen dieser Serie unterhalte ich mich mit Protagonisten der Freien Szene darüber, was sie bewegt und antreibt. Diesmal ist es Philine Halstenbach. Sie bezeichnet sich selbst als Creativity Enabler – Möglichmacherin und Aktivatorin von Kreativität – Menschen ihre kreative Seite näherbringen. Seitdem ihre Cousinen ihr gezeigt haben, wie man aus Alltagsgegenständen ein Puppenhaus baut – und eigentlich seit ihrer Geburt im Jahr 1990 – ist sie künstlerisch tätig. Inspirieren kann sie ein Kaugummi auf dem Boden oder eine Glitzerpaillette – besser gesagt: Alles, was bunt ist, alles, was mit Licht zu tun hat.
Erschienen am 11.09.2025 in der Westdeutschen Zeitung.

Warum machst Du, was Du machst?
Weil ich nicht anders kann. Ich werde das oft gefragt: Wie kommt man auf sowas? Wieso macht man das? Tatsächlich war mein Bedürfnis, das zu tun, was ich heute mache, immer ähnlich. Sachen sammeln, kleine Häuser bauen, bunte Dinge gestalten – das mache ich ungefähr seit 1990. Es hat sich nur gesteigert und präzisiert. Ich habe schon als Kind andere in meine Fantasiewelten geholt und zum Mitgestalten gebracht. Als Teenie war das furchtbar – sich mit 14, 15 oder 16 noch für Puppenhäuser und Barbies zu interessieren, war nicht cool, und meine größte Fähigkeit war auf einmal komplett fehl am Platz. Aber jetzt mache ich das beruflich – und helfe Leuten dabei, sich zu erinnern, wie viel Spaß das macht, spielerisch kleine Dinge zu basteln.
In deiner Kunst steckt Haltung. Wie bewusst ist Dir der politische Aspekt?
Es geht mir grundsätzlich sehr darum, ich selbst zu sein – und mir die Welt zu machen, wie sie mir gefällt – sodass sie mir und anderen guttut. Darin steckt schon viel an Haltung, und das thematisiere ich auch in meiner Kunst. Zum Beispiel habe ich lange damit gekämpft, dass man sich – wenn man älter ist als zwölf – für das Interesse an Rosa und Glitzer immer rechtfertigen muss. Da habe ich mir über die Jahre eine stählerne Stirn antrainiert, mit der ich mich dagegen wehren kann. Ich habe schon oft Leuten geholfen, Aha-Momente zu erleben: dass Rosa-Pastell-Welten als Konzept nicht unpolitisch sind. Ich wünschte, es wäre so – für Blau oder Orange muss sich niemand rechtfertigen. Bei mir aber wundern sich die Leute permanent, deswegen kann ich gar nicht anders. Dadurch beschäftige ich mich sehr viel mit dem Thema, habe viel dazu recherchiert, gerate regelmäßig in Diskussionen und reagiere auch emotional. Denn ich muss mich mein ganzes Leben lang schon erklären – dabei ist Magenta eine Grundfarbe. Jeder, der schon mal eine Druckerpatrone gewechselt hat, war ganz nah dran an diesem Fakt. Und dann kommt noch dazu: Pink, die „Mädchenfarbe“. Angeblich ist sie als einzige Farbe nicht für alle da, und man findet sie albern. Dabei ist dieser Sonder-Umgang mit einer ganz normalen Farbe albern – und wenn ich das nicht hinnehmen möchte, muss ich laut sein, um dieser Albernheit entgegenzuwirken. Ich habe auch schon erlebt, dass Leute gesagt haben, sie hätten durch mich realisiert, dass man Pink nicht hassen muss, um eine gute Feministin zu sein. Ein weit verbreiteter Mythos, den ich gerne Stück für Stück aus der Welt schaffe.
Ein anderes wichtiges Thema für mich und meine Kunst ist Neurodivergenz. Wenn wir offener damit umgehen würden, dass wir alle manchmal Schwierigkeiten haben, müssten wir uns weniger verstellen, uns weniger schämen. Wir könnten toleranter miteinander und mit uns selbst sein, wenn wir nicht ständig versuchen würden, so zu tun, als hätten wir keine Probleme. Die anderen kriegen es auch hin, deshalb fragen wir nicht nach Hilfe und schämen uns stattdessen. Da das aber komplett ungesund ist, rede ich offen über meine Schwierigkeiten, darüber, dass ich ADHS habe und mein Alltag extrem anstrengend ist. Ich erlebe tatsächlich, dass das dazu führt, dass Leute geduldiger mit sich selbst sind, sich z. B. auch auf ADHS testen lassen, verständnisvoller mit anderen umgehen und so weiter. Kinder können einfach ihr Ding machen, ohne sich zu schämen. Jugendlichen sagt man: Jetzt reiß dich mal zusammen, bald bist du erwachsen. Aber bei Erwachsenen wird es regelrecht ineffizient. Deutschland ist sonst so auf Effizienz bedacht – ineffizient ist es aber, z. B. aus Höflichkeit den Teller leer zu essen, wenn dein Körper dir eigentlich signalisiert, dass du satt bist. Ineffizient ist es auch, irgendwo zu bleiben, wo du dich nicht wohlfühlst, und nicht nach Hilfe zu fragen, wenn du etwas alleine nicht schaffst, nur weil Erwachsene das eben nicht machen. Wir tun vieles aus ungesunden Gründen.
In Zeiten von Polarisierungen und Krisen – ist die Kunst ein verbindender Raum?
Kann sie absolut sein. Was ich im nitrospace erlebe: Die Leute kommen rein, und nach wenigen Augenblicken erinnern sie sich daran, dass sie einen freien Willen haben. Damit hatte ich nicht gerechnet – und es ist völlig faszinierend zu sehen! Man kann seine Leiter rosa lackieren! Man kann aus allem kleine Dinge basteln, wenn man das will! Man kann Zeug sammeln und aufheben – einfach so. Das ist ein schöner Effekt. Ich gehe gerne in den Kontakt. Vor allem auch, weil die meisten Erwachsenen, wenn sie einer fremden Person begegnen, grundsätzlich erst einmal unnahbar sind. Ich habe diese Funktion in meinem Gehirn gar nicht. Meine Membran, diese Schicht, ist dünner. Diese Fremdheit, die man hat, wenn man jemandem begegnet, kenne ich nicht. Ich bin mit jedem sofort auf einer Ebene. Ich fühle mich verbunden mit den Leuten, die neben mir an der Ampel stehen. Ich spüre deutlich, dass sie und ich in einem Boot sitzen.
Wie erreicht Kunst Menschen, die sich selbst nicht als Publikum dafür sehen?
Man muss mit seinen Sachen dorthin gehen, wo man allen begegnen kann. Ich habe schon häufig erlebt, dass Leute dankbar waren, zum ersten Mal mit Kunst in Kontakt gebracht zu werden. Kunst erleben macht etwas auf. Plötzlich fangen Leute an, über Dinge nachzudenken, die vorher nicht Teil ihres Sichtfelds waren. Manche wenige gehen gezielt dorthin, wo es Kunst gibt. Die anderen müssen erst darauf gestoßen werden. Viele sind auch einfach schüchtern, weil sie das nicht kennen, und betreten Orte wie den nitrospace nicht von selbst. Es ist unsere Aufgabe – von uns Kunstschaffenden und auch von Veranstaltenden, Creator, Event-Anbietenden – dafür zu sorgen, dass der Zugang hierzu möglichst niedrigschwellig ist, dass wir die Türen aufmachen und aktiv auch die dazuholen, die sonst außen vor bleiben würden.

Was ist, wenn die Politik Fördermittel kürzt? Fühlst Du dich dann im Stich gelassen?
Ich bin zum ersten Mal in den Genuss von Fördermitteln gekommen – einfach, weil ich vorher nicht wusste, wie das geht. Ein Freund hat mir angeboten, mir bei den Anträgen zu helfen. Darüber bin ich sehr glücklich und dankbar, dass ich Gelder bekommen habe. Aber ich habe echt Sorge: Wenn das wegfällt, kann ich den Laden allein nicht halten. Und da bin ich auch selbstbewusst genug zu sagen: Das wäre schade. Für mich, für den Stadtteil und für die Stadt. Ich kriege mit, was passiert, und es macht mir Bauchschmerzen. Die Frage ist: Wollen die, dass hier wirklich etwas Kreatives passiert? Gerade Wuppertal ist eine Stadt mit einer kreativen Energie, wie kaum eine zweite.
Und wenn dieser Bereich wegfällt? Sind wir da schon mitten im Kahlschlag?
Die Engagiertesten unter uns werden trotzdem weitermachen – und sich damit komplett verausgaben, weil sie über ihre Kräfte und Mittel hinaus arbeiten. Denn die Ambition verschwindet nicht. Wenn man keine finanzielle Unterstützung für großartige Projekte bekommt, die gut für die Welt sind, dann macht man das auf eigene Faust – und zahlt dabei drauf. Ich habe das jahrelang gemacht: sieben Jobs und drei Ehrenämter gleichzeitig, alles im künstlerischen Bereich. Überall meine Kraft und Energie reingesteckt. Und am Ende des Monats war nie genug Geld da. Nicht, weil ich nicht haushalten kann, sondern weil das Jobs waren, die nicht genug einbrachten. Und ich habe es trotzdem gemacht, mich engagiert, mich verausgabt – weil es mir wichtig ist. Aber genau das ist die Gefahr: dass wir die guten Spirits, die kreative Community, die sich trotz Geldmangel engagiert, verbrennen und ausbrennen lassen.
Gibt es noch etwas, was Du diesen Menschen mit Macht gern sagen würdest?
„Nehmt uns nicht für selbstverständlich.“ – das wäre vielleicht eine Botschaft.Wir sind aufeinander angewiesen. Ich habe im Moment großes Glück – ich habe Förderanträge gestellt und Unterstützung bekommen, und momentan kann ich mich nicht beschweren. Trotzdem sehe ich es überall, an allen Ecken und Enden, was Kürzungen ausmachen. Das ist nicht gut. Nicht nur für mich und andere Kunstschaffende, sondern für Wuppertal und, alle die hier leben, würde ich mir wünschen, dass kreative Arbeit sogar eher mehr gefördert wird.Und natürlich sind wir auf das städtische Oberhaupt angewiesen – aber es ist auch umgekehrt wichtig, dass das städtische Oberhaupt weiß, was es an uns hat.