Mit Annika Kompart, Barbara Cleff, Christien Berger, Rebecca Hagen und Stephanie Trapp vom Christlichen Friedhofsverband Wuppertal. Fotos: Hermine Fiedler
Als Teil dieser Veranstaltung habe ich folgenden Text vorgetragen.
Harald Edmund Winter, geboren am 21.02.1921 war mein Urgroßvater. Nicht vielen Menschen ist es vergönnt, ihren Urgroßvater überhaupt zu kennen. Ich konnte noch 17 Jahre mit ihm verbringen, 2008 verstarb er. Ich blicke stolz auf ihn zurück und werde euch etwas aus der Vergangenheit erzählen, aus dem ich etwas für die Gegenwart gelernt habe.
1945 steckte man ihn in einen Panzer Richtung Westen, drei Tage vor Ende des Krieges. Drei Jahre Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Er erzählte, die Wärter brachten den Gefangenen Granatäpfel. Nachdem ein Mitinsasse beherzt in diesen Biss und dabei wohl einen Zahn verlor, wusste mein Urgroßvater, wie man diese aß und sie sein ganzes Leben zu genießen. Da man nicht an seine Wiederkehr glaubte, wurde seine Verlobung in der Zeit aufgelöst. Daraufhin lernte er meine Urgroßmutter Sonja Fink, geboren am 30.12.1930, kennen.
Sie war manisch-depressiv. Aufgewachsen in einer Zeit, in der es wenig Bewusstsein dafür gab, hinterließ dies seine Spuren. Die Ehe war nicht leicht, meine Oma zog nicht ohne Grund mit 16 Jahren von Zuhause aus. Aber was steht es mir zu, dies zu beurteilen? Wir sollten nicht den Kampf unserer Verwandten zu unseren machen, ich kann nur erzählen, was ich erlebt habe. Es ist leider nicht viel, ihre Krankheit und ihr zweiter Ehemann, mit dem sie in Oberhausen wohnte, standen einem engen Kontakt im Wege. Aber jedes Jahr zu ihrem Geburtstag besuchten wir sie. Gingen in verschiedenen Restaurants. Einmal sollte es etwas ganz Besonderes sein, ein Pianist begleitete das Essen. „Ob dieser nicht mal mit dem Geklimper aufhören könne, man wolle sich doch unterhalten“. Ein anderer Geburtstag. Sie wollte sie ihr Essen Nachpfeffern, der Hut löste sich und ergoss sich über den gesamten Teller „Ganz schön pfeffrig, da haben sie es aber gut gemeint“ Ja so war sie, einen Meter fünfzig groß und in den manischen Phasen, ein lustiger Mensch. 2010 Verstarb sie. Haben wir uns zu wenig gekümmert? Vielleicht – aber sie hat sich selbst aus der Familie zurückgezogen. Sollte man diesen Gedanken ewig mit sich rumtragen? Nein. Lernt daraus und macht es besser. Achtet aufeinander, kümmert euch, passt nicht zu sehr auf euch selbst auf und überschreitet eure Grenzen! Denn die Menschen sind es wert – bevor es zu spät ist.
Seine Ausbildung als Schlosser macht er bei der Firma Frobana, an der Hatzfelder Straße. Jeden Morgen fuhr er, vom Höchsten, nur einen Steinwurf von hier entfernt mit dem Fahrrad, und später mit einem Moped, zur Arbeit. Außer, wenn der Winter besonders eisig wurde, dann nahm ihn ein Arbeitskollege im Auto mit.
Auf dem Höchsten, dort lebte er 50 Jahre. In einer kleinen Wohnküche spielte sich fast das gesamte Leben ab. In der Mitte des Raums befand sich ein großer Tisch und vor Kopf stets eine hochmoderne HiFi-Anlage. Mit TippEX markierte er auf den teuren Abspielgeräten die wichtigen Tasten, um diese besser erkennen zu können. Denn durch eine Operation verlor er fast sein gesamtes Augenlicht, sein Gehör jedoch war ausgezeichnet und seine Liebe zur Musik unerschütterlich. 40 Jahre lang war er Mitglied im Schubert-Chor, reiste mit diesem durch ganz Europa und selbst die Menschen in Phoenix Arizona lauschten dem Chorgesang aus Wuppertal. Seine Bass-Bariton Stimme behielt er sein ganzes Leben und das ein oder andere Lied erklang in dieser kleinen Küche.
Über seine Gefangenschaft sprach er nie schlecht, Rotwein und Zigaretten gab es bei den Franzosen. Bis zu seinem Tode rauchte er stets Gauloises, abwechselnd blau und rote, fürs gute Gewissen, ihr wisst schon. Das Leben in kleinen Momenten genießen, vielleicht lernte er es dort. Ein guter Tabak vom Zander auf der Neumarktstraße, ein schmackhafter Rotwein vom Orthmann, dazu im besten Fall, wenn wir gerade von der Ostsee wiederkamen, ein geräucherter Aal von der Insel Fehmarn, dazu eine Sinfonie von Franz Schubert. Das alles genossen in der kleinen Wohnung auf dem Höchsten, einen Steinwurf entfernt – UND ich frage euch ernsthaft: Was braucht der Mensch denn mehr? Genießt den Alltag, denn was die Welt morgen bringt, ob leid oder Freud, heute ist heut.
Wie viel von unseren Verwandten steckt in uns? Er besuchte mit dieser Kamera oft die Hardt und bewunderte die Blütenpracht, meine Berufung ist Fotograf geworden und gerade bewundere ich euch. Auch mein Lieblingsort ist dieser Hügel in unserer Stadt, dort lassen sich vortreffliche Gespräche führen. Der Frühling war und ist unsere Lieblings-Jahreszeit. Man solle nur das Geld ausgeben, was man hat – ein Credo, nach dem ich auch leben. Man solle stets höflich sein und deutlich sprechen, aber er pflegte auch zu sagen: Kallen musse können – ich gebe stets mein Bestes. Man müsse immer ehrlich sein, egal welche Konsequenzen dies habe, lügen sei ein Graus – wer würde mir widersprechen? Die Seelen unserer Familie durchdringen uns, dazu ein paar Geheimnisse und vor euch sitzt vor euch ein neuer Mensch.
